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BAG: Verfallklauseln für “gevestete” virtuelle Aktienoptionen nach Eigenkündigung unwirksam

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 19. März 2025 (10 AZR 67/24) in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Verfallklauseln in Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen, die bereits „gevestete“ virtuelle Aktienoptionen bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers sofort oder beschleunigt verfallen lassen, unwirksam sind.
Der Fall:
Dem Urteil lag der Fall eines Arbeitnehmers zugrunde, der in der Zeit von April 2018 bis August 2020 für die Beklagte tätig war und das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß kündigte. Im Jahr 2019 waren ihm im Rahmen eines Employee Stock Option Plan (ESOP) 23 virtuelle Optionsrechte gewährt worden, die mit einer einjährigen Cliff-Periode sowie einer vierjährigen Vesting-Periode versehen waren. Die maßgebliche ESOP-Regelung sah vor, dass im Falle einer Eigenkündigung bereits „gevestete“ Optionen entweder sogleich oder innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sukzessive entfallen (sog. „De-Vesting“). Zum Zeitpunkt seines Ausscheidens waren knapp ein Drittel der ihm gewährten Optionen bereits „gevestet“. Der Kläger machte im Juni 2022 sodann seinen Anspruch geltend und wandte ein, er habe die betreffenden Optionen durch seine Arbeitsleistung verdient. Die Beklagte hingegen argumentierte, es handele sich um eine reine Verdienstchance, deren Zweck vorrangig in der Bindung an das Unternehmen liege. Während die Vorinstanzen der Argumentation der Beklagten folgten, gab das BAG dem Kläger schließlich Recht und erklärte die Verfallsklauseln für unwirksam.
Kernaussagen des BAG
(1) „Gevestete“ virtuelle Optionen als Vergütungsbestandteil
Das BAG qualifiziert die „gevesteten“ virtuellen Optionen als Teil der arbeitsvertraglichen Gegenleistung. Seine Einschätzung stützt das Gericht unter anderem auf die ESOP-Bedingungen selbst, die das Vesting während unbezahlter Freistellungen aussetzen. Dies ist ein deutlicher Anhaltspunkt für den Vergütungscharakter der Optionen. Außerdem gelten nach BAG-Rechtsprechung vergleichbare, erfolgsabhängige Leistungen – wie etwa Tantiemen oder Gewinnbeteiligungen – ebenfalls als Vergütung.
Die Einordnung als Vergütungsbestandteil führt zwangsläufig zu einer Bindung an das Grundprinzip des § 611a Abs. 2 BGB: Hat der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbracht, ist die hierfür vereinbarte Gegenleistung zu gewähren.
(2) Sofortiger Verfall bei Eigenkündigung wegen unangemessene Benachteiligung unwirksam
Die maßgeblichen Klauseln qualifiziert das BAG als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die einer uneingeschränkten Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterfallen. Klauseln, die einen sofortigen Verfall sämtlicher „gevesteter“ Optionen bei Eigenkündigung anordnen, benachteiligen den Arbeitnehmer nach Ansicht des Gerichts in unangemessener Weise (Stichwort Kündigungserschwerung). Sie berühren nicht nur das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Kündigungsrecht, sondern verstoßen auch gegen den Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB. Denn sie ignorieren, dass der Arbeitnehmer seine Gegenleistung für die „gevesteten“ Optionen bereits durch seine Arbeitsleistung erfüllt hat. Hiermit weicht das BAG explizit von seiner früheren Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07) ab.
(3) Beschleunigter Verfall unwirksam
Darüber hinaus beanstandet das BAG auch jene Klauseln, die einen beschleunigten Verfall der „gevesteten“ Optionen vorsehen (beschleunigtes De-Vesting). Eine solche Gestaltung sei, so das Gericht, bei typisierender Betrachtung ebenso als unangemessene Benachteiligung zu qualifizieren. Zwar erkennt das BAG an, dass der abnehmende Einfluss eines ausgeschiedenen Mitarbeiters auf den Unternehmenswert durch De-Vesting-Regelungen Berücksichtigung finden kann. Jedoch sei ein beschleunigter Verfall, der den ursprünglichen Vesting-Zeitraum gewissermaßen halbiert, nicht zu rechtfertigen.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung des BAG setzt Unternehmen, die auf virtuelle Mitarbeiterbeteiligungsprogramme setzen, spürbar unter Handlungsdruck. Bestehende Programme sind einer sorgfältigen und kritischen Überprüfung zu unterziehen, um etwaige unzulässige Verfallklauseln zu identifizieren und anzupassen. Gleiches gilt für die künftige Gestaltung neuer Beteiligungsprogramme, die der nunmehr neuen Rechtsprechung Rechnung zu tragen haben. Besonderes Augenmerk verdient hierbei jede Regelung, die im Falle einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers bereits “gevestete” Optionsrechte dem Verfall aussetzt. Gleiches gilt für Bestimmungen, die einen sukzessiven Verfall nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen, insbesondere wenn die gewählte Verfallsfrist kürzer bemessen ist als die ursprüngliche Vesting-Periode, also beim beschleunigten De-Vesting. Denn derartige Klauseln laufen Gefahr, den Vergütungscharakter der Optionen zu untergraben und werden der nunmehr präzisierten Kontrollmaßstäbe des AGB-Rechts nicht standhalten.
Offen bleibt, ob ein Verfall solcher Optionen überhaupt noch zulässig ist, nachdem das BAG sie ausdrücklich als Vergütungsbestandteil qualifiziert hat.



Zusammenfassung:
- Vergütungscharakter: „Gevestete“ virtuelle Aktienoptionen stellen Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung dar.
- AGB-Kontrolle: Die ESOP-Bestimmungen unterliegen als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle.
- Sofortverfall unwirksam: Klauseln, die den vollständigen Verfall „gevesteter“ Optionen bei Eigenkündigung anordnen, benachteiligen Arbeitnehmer unangemessen.
- Beschleunigter Verfall nach Eigenkündigung unwirksam: Beschleunigte Verfallsregelungen nach einer Kündigung benachteiligen Arbeitnehmer unangemessen